„lost places an der Peene“ - teil 2 - 24notes
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„lost places an der Peene“ – teil 2

„lost places an der Peene“ – teil 2

Die Heeresversuchsanstalt Peenemünde (2)

Der 2. Teil der Triologie “lost places an der Peene“ zeigt Fotografien vom Besuch eines Teils des Geländes der ehemaligen nationalsozialistischen Heeresversuchsanstalt Peenemünde (HVA) im Nordosten der Insel Usedom. 2008 war ich mit 5 anderen Fotografen und einem Guide in einem Teil des (Sperr-)Gebietes auf einer „Zeitreise“, um zu fotografieren. Touristisch war das gesamte gesperrte Gebiet damals erst in Anfängen erschlossen. Aus Sicherheitsgründen (Einsturzgefahr) durften wir damals leider nicht in das Gebäude der ehemaligen Sauerstofffabrik, wo der Treibstoff für die Raketen V1 und V2 (V steht im NS-Jargon für „Vergeltungswaffe“) produziert wurde, und auch nicht in alle Teile des Geländes.

Das  Sperrgebiet

 

Daher sind fast nur Fotos von Teilen des Test- und Abschussgeländes im Nord-Osten Peenemündes zu sehen. Von der riesigen Menge an Bauten, die in der Zeit der NS-Herrschaft im Sperrgebiet angelegt worden sind, existieren höchstens noch 5% in Form von einsturzgefährdeten Ruinen. Die fotografierten Raketen V1 und V2 sowie die rekonstruierte Abschussrampe (eine so genannte Walter Schlitzrohr-Schleuder) für die V1 befinden sich nicht in dem besuchten Gelände, sondern direkt am Kraftwerk.

Karte HVA

Die Heeresversuchsanstalt (HVA) war eine ab 1936 in Peenemünde-Ost errichtete Entwicklungs- und Versuchsstelle des Heeres und (später auch) der Luftwaffe der deutschen Wehrmacht. Dort wurde in einem militärischen Sperrgebiet  die erste funktionsfähige Großrakete Aggregat 4 (A 4 oder „Vergeltungswaffe V 2“) entwickelt und getestet. Deren erster erfolgreicher Flug fand am 3. Oktober 1942 in Peenemünde statt.

Links:  V2-Rakete, rechts: Leitwerk V2

Die Anlagen der HVA wurden im Sommer 1936 von KZ-HäftlingenKriegsgefangenen und „Ostarbeitern“ erbaut. 25 km Schienen, drei Häfen und zahlreiche Straßen erschlossen das Gebiet.

Überreste der Werkbahn

Für den Bau wurde der alte Ort Peenemünde mit seinen reetgedeckten Häusern abgerissen. Ab 1937 wurden die ersten Mitarbeiter von Heer und Luftwaffe nach Peenemünde verlegt. Im „Werk Süd“ sollte die Raketen-Produktion in einem Versuchsserienwerk mit zwei großen Fertigungshallen F1 und F2 erfolgen.

befestigter Unterstand

Besonders wichtig war die Startrampe für die V 2-Raketen (A4) am Prüfstand VII (fast ganz im Norden der Insel). Von Peenemünde (und Zempin für die V1) aus erfolgten Versuchsstarts, da sowohl der Flugkörper V1 (Fieseler Fi 103) als auch die ballistische Rakete V 2 (A4) noch eine zu geringe Reichweite besaßen, um feindliche Ziele zu erreichen.

Oben: links: Überreste einer V1-Startrampe, rechts: Katapult-Startrampe der V1-Rakete (Rekonstruktion)

Unten: links: V1-Raktete, rechts: Bahn der Katapult-Startrampe für V1 (Rekonstruktion)

Anfang 1942 wurde die Heeresversuchsanstalt Peenemünde (HVA) in Heeresanstalt Peenemünde (HAP) umbenannt, im Juli 1944 aus Tarnungsgründen in eine Privatfirma namens „Entwicklungswerk in Elektromechanische Werke Karlshagen“ (EW) unter der Leitung von Wernher von Braun als technischem Direktor umfirmiert.

Auf dem Gelände der HVA existierte von Juni bis Oktober 1943 ein Außenlager vom  KZ Ravensbrück. Die Montage der V2-Raketen sollte weitgehend durch KZ-Zwangsarbeiter in der Fertigungshalle F1 des Peenemünder Versuchsserienwerks erfolgen, in dessen Untergeschoss dafür 600 Häftlinge untergebracht wurden. Im KZ Buchenwald und KZ Sachsenhausen wurden zusätzlich Fachkräfte rekrutiert, die ab 1. Oktober 1943 in Peenemünde in der geplanten V2-Serienproduktion eingesetzt werden sollten. Zusätzlich gab es ein zweites KZ-Arbeitslager für die Dienststelle der Luftwaffe, ein Kriegsgefangenenlager in Karlshagen und eines in Wolgast. Insgesamt waren auf Usedom etwa 1400 Zwangsarbeiter, mehr als 3000 „Ostarbeiter“ aus der Ukraine und Zivilarbeiter aus Polen untergebracht, die alle für die HVA arbeiten mussten. Zudem waren Vertrags- und Fremdarbeiter aus Holland, Frankreich, Italien und dem besetzten Tschechien eingesetzt. Die Bewachung der KZ-Arbeitslager erfolgte zeitweise durch SS-Wachmannschaften.

Sicherungsmauer

.

Die Häftlinge mussten in Arbeitskommandos Hilfstätigkeiten nach Abschusserprobungen der Flugbombe V1 (Fieseler Fi 103), Verlängerungsarbeiten für die Startbahn zur Erprobung der streng geheimen Raketenflugzeugs Messerschmitt Me 163 „Komet“, Erdarbeiten, den Bau von Schutzwällen und Abdeckungen für Flugzeuge, die Entschärfung von Bomben-Blindgängern der britischen und amerikanischen Luftwaffe, die Beseitigung von Bombenschäden und andere Arbeiten durchführen.

Links: Schutzgraben, Mitte: Trümmerteil, rechts: Bombenblindgänger

Die Zerstörung…

Die Briten, die auf das Projekt der V 2 schon nach Hitlers Rede am 19. September 1939 in Danzig über eine neuartige deutsche Angriffswaffe aufmerksam geworden waren, versuchten aber erst in der Nacht vom 17. zum 18. August 1943 die Anlagen in Peenemünde zu zerstören. Zu den Hauptzielen gehörte die Tötung der Wissenschaftler. Die Bomben der Royal Air-Force verfehlten aber das Ziel und trafen vorwiegend das Gebiet der Wohnsiedlung Karlshagen und zwei KZ-Gefangenenlager und forderten viele Todesopfer.

Teile der Versuchs- und Produktionsanlagen wurde nach dem britischen Luftangriff 1943 schnell in unterirdische Produktionsstätten (hauptsächlich in den Stollen Kohnstein im Harz) verlegt. Dort lief die Serienfertigung der V 2-Rakete an. Die dort hergestellten Raketen wurden mit der Reichsbahn in getarnten Spezial-Waggons nach Peenemünde gebracht und dort auf ihre Funktion getestet. Danach erst erfolgte die Auslieferung an die Wehrmacht und in geringem Umfang auch an die Waffen-SS in Abschussstellungen u.a. im Münsterland, in der Nähe von Cuxhaven, in der Eifel, im Hunsrück, im Westerwald und in besetzte Gebiete von Belgien und den Niederlanden.

Es gab 1943 insgesamt vier Standorte zur V2-Serienfertigung: die HVA-Peenemünde, die Friedrichshafener Zeppelinwerke, die Rax-Werke in Wiener Neustadt  sowie das Demag-Panzerwerk am Stadtrand von Berlin, alle beschäftigten KZ-Häftlinge aus unterschiedlichen KZs.

Die Peenemünder Anlagen wurden 1944 dreimal von US-Bombern angegriffen. Daher  mussten 400 Häftlinge der HVA einen Luftschutzbunker aus Stahlbeton errichten, beim Bau kamen insgesamt 295 Häftlinge um.

Während des 2. Weltkrieges  gelangten exakte Zeichnungen der V2-Rakete sowie Lageskizzen von Waffenfabrikationsanlagen an alliierte Generalstäbe und ermöglichten damit alliierten Bombern genaue Luftschläge. Am 20. Mai 1944 wurden Teile einer abgestürzten V 2 von Mitgliedern der Polnischen Heimatarmee sichergestellt. Die Teile wurden zusammen mit den Auswertungsergebnissen im Juli 1944 nach London gebracht. In Peenemünde wurden weiterhin V2-Raketen getestet trotz drei weiterer Luftangriffe im Jahr 1944.

Links: Befestigung, Mitte: V2 Rakete, rechts: Messturm auf den Insel Ruden

…und danach…

Am 17. Februar 1945 begann die Räumung des Geländes in Peenemünde und die vollständige Verlagerung nach Mittelbau-Dora. Peenemünde und die Heeresversuchsanstalt wurden am 4. Mai 1945 von sowjetischen Truppen besetzt. Sie demontierten die noch erhaltenen Anlagen und verfrachteten sie in die UdSSR. Nicht demontierte Anlagen wurden gemäß Beschluss des Alliierten Kontrollrats gesprengt. Von 1945 bis 1952 war Peenemünde sowjetischer Marine- und Luftwaffenstützpunkt, 1952 wurde er an die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR übergeben. Bis 1990 war der gesamte nordwestliche und nordöstliche Bereich Usedoms  Sperrgebiet der NVA, die dort einen wichtigen Militärflugplatz betrieb. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands erfolgte 1993 die Auflösung des Truppenstandortes. Seitdem ist das Gebiet Naturschutzgebiet mit teilweiser touristischer Nutzung.

Naturschutzgebiet

1 Comment
  • Geri Barreti
    Posted at 23:04h, 30 Januar Antworten

    Mille Grazie für diese Lost Place Tour durch die Überreste von Peenemünde. LG Geri

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