Der letzte Zug - 24notes
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Oberstdorf

Der letzte Zug

Fast geräuschlos glitt der letzte Nachtzug aus der Halle. Der Bahnsteig war leer, bis auf einen einzelnen Mann. Er hatte sich eine Zigarette angezündet und starrte dem Zug nach, dessen rote Schlusslichter rasch kleiner wurden. Der letzte Zug am Oberstdorfer Bahnhof – aber gewiss nicht der letzte Zug an der Zigarette. Bereits die vier rauchfreien Stunden Autorenlesung im Kurhaus waren eine Qual gewesen. Dabei hatte sich Markus Röder schon vor beinahe einem Jahr geschworen, mit dem Rauchen aufzuhören. Nachdenklich steckte er seine Hände in die Manteltasche. Dabei geriet ihm die Visitenkarte von Katja in die Hand. Katja, die er soeben auf den Zug gebracht hatte.

Röder war nach Oberstdorf gekommen, um seinen vierten Roman vorzustellen. Die Lesung war sehr gut besucht und eine erfreuliche Zahl von Pressevertretern war da gewesen. Die Dis­kussions­runde dauerte länger als üblich. Markus war müde. Zuletzt wollte er nur noch eine rauchen und zurück ins Hotel. Er schlug den Mantelkragen hoch und stellte sich an das Raucherplätzchen am Eingang. Dort traf er auf eine attraktive Mittvierzigerin, die ihm schon während der Diskussion im Saal aufgefallen war. Röder musterte die brünette, nicht ganz schlanke Frau. Sie lächelte ihn an und sagte: „Ich bewundere Menschen wie sie. Ich habe eine hohe Meinung von Leuten, die es schaffen, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen.“

Er zuckte mit dem Mundwinkel. Es gefiel ihm, dass sich jemand nicht nur für seine Romane, sondern auch für seine Person interessierte. „Ja, es scheint langsam darauf hinauszulaufen, aber…“ Er sprach nicht weiter, konnte nicht weitersprechen, an seine Zukunft glaubte er nicht mehr.

„Was aber?“, fragte sie. Markus wusste keine Antwort darauf.

„Darf ich fragen wie sie heißen?“

„Katja Rieger. Wie sie vielleicht wissen, schreibe ich für das Feuilleton der Zeit.“

„Schön…und ist das, ich meine ihren Beruf, nicht auch ihre Leidenschaft?“

Katja drückte bedächtig ihre Zigarette im Ascher aus, schaute Markus geradewegs in die Augen und bemerkte den fehlenden Glanz.

„Wissen sie, als Kulturjournalistin bin ich viel unterwegs und habe fast immer mit interessanten Themen und spannenden Charakteren zu tun. Eigentlich entspricht mir das sehr.“

„Eigentlich? Wer das sagt, sieht irgendwo einen schwarzen Fleck auf der weißen Wand.“

Katja lächelte in sich hinein und war erstaunt, dass sie mit Röder ohne Umschweife über Persönliches redete. Dabei hatte sie ihn vor der Lesung noch nie gesehen und von seinen vier Büchern nur eins gelesen.

„Nun, ich bin viel zu selten zu Hause. Das macht manchmal ein wenig einsam. Das ist der Preis für meine Leidenschaft. Aber mir wird langsam kalt. Haben sie nicht Lust, da vorne in der Spezerei einen Cappuccino mit mir zu trinken?“

Röder war überrascht. Damit hatte er nicht gerechnet. Trotz seiner Müdigkeit sagte er lächelnd zu. Sie betraten die kultige Spezerei, deren Einrichtung in weiten Teilen aus der alten Apotheke stammte, die sich einst in diesem Gebäude befand. Sie schauten sich nach einem geeigneten Platz um und wurden an einer gemütlichen Fensternische fündig. Allein bei der einen Tasse Cappuccino blieb es nicht. Es folgten noch zwei Gläser Riesling und ein anregendes Gespräch über Röders neues Buch. Markus fühlte sich in seinem Element und Katja sah, wie der Glanz in seine Augen zurückkehrte. Sie erzählte von ihrer Arbeit, der fehlenden Ruhe in ihrem Leben und dem Literaturfestival in Stuttgart, welches sie die nächsten drei Tage beschäftigen sollte. Katja warf einen Blick auf die Uhr und sagte:

„Langsam muss ich wohl. Mein Zug fährt in einer halben Stunde.“

Markus winkte der Bedienung zum Zahlen und trank den letzten Schluck des Rieslings. Die Unterhaltung mit Katja hatte ihm ein gutes Gefühl gegeben. Für kurze Zeit hatte er alles vergessen können. Aus dem Wunsch heraus, die Stimmung für ein paar Augenblicke zu erhalten, bot er an, sie zu begleiten, was sie gern in Anspruch nahm. Es dauerte zwei Zigaretten bis zum Oberstdorfer Bahnhof.

„Es war ein schöner Abend, danke“, sagte Katja und drehte sich zum Gehen. Sie zögerte, wandte sich wieder um und gab Markus ihre Visitenkarte. „Wenn sie möchten, kannst du mich gerne anrufen.“ Mitten im Satz wechselte sie auf das vertrauliche „Du“, irgendwie erschien es ihr richtiger so. Markus zögerte, legte die Stirn in Falten und meinte: „Wer weiß schon, was kommt.“ Er lächelte sie mit seinen grauen, glanzlosen Augen an. „Alles Gute, Katja.“

Röder lief während zwei weiteren Zigaretten zurück in das Hotel Mohren, wo er eine Übernachtung gebucht hatte. Das Leben könnte so schön sein, dachte er, ohne diesen verdammten Lungenkrebs. In einem Jahr bleibt von mir nichts, außer meinen Büchern.

 

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